“Dazwischen”
Farbfotografien, aus Moskau und St. Petersburg, digital, Prints auf Papier, kaschiert, im Passepartout, 2004, 2008, 2011
Die Fotografien für die Kabinettausstellung “Dazwischen” sind in Moskau und St. Petersburg in den Jahren 2004 bis 2011 entstanden. Die meisten eher aus dem früheren Zeitraum. Etliche davon waren bereits in den Ausstellungen “Russisch Mintgrün I” und “Russisch Mintgrün II” gezeigt. Sie sind jetzt gemischt und speziell für den Raum gehängt worden.
Aus der heutigen Sicht empfinde ich den Rückblick auf die 2004der Jahre noch stärker als eine Zwischenzeit.
Es geht dabei weniger um Dokumentation, wenngleich das eine und andere Bild so wirkt. Aus Spaziergängen sind Tableaus entstanden, die ein Gefühl vermitteln. Die Riesenmetropole in ihrer immerwährenden Eile und mit ihren gigantischen Widersprüchen soll im Kleinen erlebt werden. Wie findet man Zeichen ohne Klischees zu benutzen. Wie lässt sich mit kleinen, fast alltäglichen Bildern etwas mitteilen von Tradition, Reichtum, Armut, Aufbruch, Macht, Tod, Liebe, Romantik usw.?
Der Alte Arbat und die sechsspurige Twerskaja, die vor 1990 Gorkistraße (russ. Улица Горького)hieß, das pittoreske Viertel Kitai-Gorod, das nichts mit China zu tun hat, diese und jene Nebenstraße, das Taganka Theater, an dem auch Brecht inszenierte, noch alte Eindrücke aus dem in den letzten zehn Jahren rasant gewandelten, nunmehr elegantem Fußgängerviertel Kusnezki Most, der allein schon lied- und filmträchtige Belorussische Bahnhof. Mal Sommer, mal November. Und in St. Petersburg die Nebenstraßen vom Newski Prospekt. Das Golddach für den Eingang der Christi-Auferstehungs-Kathedrale(1880-1907). Die allgegenwärtigen Bienenwachskerzlein, Sinnbild der orthodoxen Kirchen, Honigduft einer alt-neu religiösen Gesellschaft. Die alten Fassaden erzählen ihre Geschichten. Sie bröckeln. Die Farbe ist unmodern. Aber es riecht noch nach Russland.
Es gibt inzwischen mehr Beige und Grau statt Rot und Mint. Die abenteuerlichen Höfe – Es gibt unzählige Höfe. Sie sind noch keinen neuen Funktionen zugeführt, noch längst nicht schick. Ein Hof ist ein Hof ist ein Hof. Es gibt einzelne Kunsthöfe.
Die neue Zeit macht sich zunächst als Reklame bemerkbar und offeriert neue Werte. Lenin dagegen ist Souvenir und Boulevardgeste etwa vor dem Historischen Museum am Roten Platz. Der tiefe Blick, die langen Wimpern, das ist nicht nur allerfeinste Kosmetikreklame sondern mitten in Moskau erinnert es auch an Gogols fantastische Geschichte vom Kiewer Philosophiestudenten und dem Erdgeist Wij.
Das Haupt des Holofernes – eine Bronzestatur aus dem Zarenpalast Peterhof – erzählt von Befreiung und ist eine Triumpfgeste. Die einsame Rose auf dem Plüschsofa des ältesten Hotels vom Arbat gilt Rilke ebenso wie Anna Achmatowa, Puschkin, der nebenan lebte oder Bulat Okudshawa, dessen Kindheit mit dem Haus Nr.43 verbunden ist. Seit dem 8. Mai 2002 erinnert ein Denkmal an den Dichter und Sänger. Die Pflastersteine des Alten Arbats – das sind Gedichten und Geschichten. Die Liebe einsam oder als rauschendes Fest. Darum also die Rose.
Der erste Krieg, der zweite Krieg… Und wer bedroht hier wen – der Blick ins Schwarze der Zaren-Kanone kann frei assoziiert werden. Sie – diese Spezielle, andere schon – hat es nie auf ein Schlachtfeld aber ob ihres Gewichts ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft. Und gibt es nicht die Frage, glauben Sie die Russen wollen Krieg? Assoziieren und verknüpfen. Das will die Hängung schon sagen. eine Wand wie ein Bilderteppich oder eben Petersburger Hängung. Dann eine lesbare Reihe. Solitäre.
Die Modernität der Gegenwart ist mit diesen Fotografien nicht erfasst. Sie lässt sich ahnen. Es wird gebaut.
Die Schönheit der alten Farben, die kleinen Botschaften aus den Schaufenstern bzw. den Hinweisschildern, Symbole und Zeichen, gesetzte und erfundene – das fühle ich als mein Moskau. Als mein Russland, obwohl es nur ein winziger Ausschnitt ist. – Anita Wünschmann